Das Konfuzius-Institut will eine Neue Sinologie durchsetzen
Weltweit existieren mittlerweile über 100 Konfuzius-Institute, © gip-no, ImagineChina
Erstmals erschienen am 5.12.2012 in FAZ mit dem Titel Zeit zum Teemachen ist für China sinnlos.
Innerhalb von acht Jahren hat das chinesische Erziehungsministerium 398 Konfuzius-Institute in 108 Ländern errichtet, um weltweit chinesische Sprache und Kultur zu verbreiten, zwölf davon in Deutschland. Anders als etwa beim Goethe-Institut sind die einzelnen Institute Kooperationen zwischen chinesischen Universitäten mit Hochschulen am Ort, mit denen man Finanzierung und Leitung teilt.
Trotz oder gerade wegen der beeindruckenden Zahlen ist das Unternehmen in der akademischen Öffentlichkeit umstritten, und zwar in beiden Hemisphären. Im Westen fürchtet man, dass mit den aus Peking gewährten Geldern die sinologische Wissenschaft eingekauft und den Regeln der chinesischen Zensur unterworfen werde. In China halten es Kritiker für ein Ärgernis, so viel Geld für ausländische Forschungsprojekte hinauszuwerfen, ohne dass irgendein eigenes, über die im Westen ohnehin schon bestehenden Sprach- und Kulturvermittlungen hinausgehendes Konzept zur Geltung komme. Tatsächlich scheinen die diversen Veranstaltungsprogramme der Institute, abgesehen vom Plan für die Sprachkurse, als gemeinsamen Nenner nur die Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeiten des chinesischen Staats zu haben.
Monopol auf Interpretation
Jetzt hat das Konfuzius-Institut eine neue Strategie vorgestellt. Auf der „Welt-Sinologie-Konferenz“, die die Zentrale der Institute zusammen mit der Renmin-Universität in Peking ausrichtete, sagte die Vorsitzende Xu Lin (许琳): „Die Konfuzius-Institute sollen den Leuten nicht nur beibringen, wie man ‚Ni hao‘ sagt oder Tee macht oder chinesische Lieder singt.“ Vielmehr will sich „Hanban“ (汉办), wie die Institutszentrale heißt, jetzt aktiv an der Hervorbringung einer „neuen Generation von Sinologen und China-Forschern“ beteiligen, indem sie Forschungsstipendien für Studenten, Doktoranden, Professoren und „junge Führungspersönlichkeiten“ aus der ganzen Welt vergibt. Der „Konfuzius-China-Studien-Plan“, den Xu Lin vorstellte, orientiere sich an amerikanischen Vorbildern wie dem Eisenhower-Plan oder der Fulbright-Scholarship. Doch der damit verbundene Ehrgeiz scheint durchaus darüber hinauszugehen. Auf der Konferenz zögerte man nicht, sogar eine „Neue Sinologie“ in Aussicht zu stellen.
Es wurde allerdings nicht klar, was das genau heißen soll. Ist einfach nur gemeint, dass westliche Sinologen und chinesische Landeskundler künftig mehr zusammenarbeiten, wie es Zhang Longxi (张隆溪) von der City University in Hongkong forderte? Oder sollen die zu fördernden „Neue Sinologen“ dadurch gekennzeichnet sein, dass sie „China lieben und die chinesische Kultur verstehen“, wie es Chen Lixia (陈丽霞) von der Pekinger Universität für Sprache und Kultur bedrohlich formulierte? „China“ und „chinesische Kultur“ sind in solchen Zusammenhängen Codewörter für die Kommunistische Partei, die das Monopol nicht nur auf die Regierung, sondern auch auf die Interpretation des Landes beansprucht.
Hoheit über alles China-Wissen
Zhao Kejin (赵可金) von der Pekinger Tsinghua-Universität meinte, dass China in Wirklichkeit „noch keinen Konsens über seine Public-Diplomacy-Strategie“ hergestellt habe. Jedenfalls hat der Begriff „Neue Sinologie“ bei all seiner Diffusität einen Soft-Power-Appeal, mit dem man in China heutzutage staatliche Gelder lockermachen kann. Das für die Konfuzius-Institute zuständige Erziehungsministerium befindet sich in einem permanenten Konkurrenzkampf mit dem Kulturministerium, das seinerseits Kulturzentren unter anderem in Berlin betreibt. Da kann die Verheißung, die Hoheit über das weltweite China-Wissen zu erlangen, ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im staatsinternen Ringen um Geld und Einfluss sein.
In der Anlage der Dritte-Welt-Sinologie-Konferenz mit ihrem Thema „Sinologie und die Welt heute“ spiegelte sich dieser Ehrgeiz, allerdings auch dessen Widersprüchlichkeit. Der britische Publizist Martin Jacques wiederholte in einem der Eröffnungsvorträge seine These, die Gegenwart sei vor allem durch die Wiederkehr von zuvor marginalisierten Kulturen in den globalen Diskurs gekennzeichnet. Während bisher „modern“ gleichbedeutend mit „westlich“ gewesen sei, müsse man heute „China verstehen, um die Welt zu verstehen“. In der großzügigen Konferenzhalle im nagelneuen Mingde-Gebäude der Renmin-Universität war auf dem Podium ein Schriftband mit einem Zitat aus dem „Buch der Wandlungen“ montiert: „Im Einklang mit den Herausforderungen der Zeit voranschreiten“. Die Wissenschaft soll ihr Maß da offensichtlich von der „Zeit“, genauer gesagt: von der Macht und deren Verschiebungen erhalten.
Sinophone Identität im Westen
Österreichische Studenten bereiten am Konfuzius-Institut chinesische Teigwaren zu, © Xu Wei, ImagineChina
Bei seinen Urhebern hatte der Begriff „Neue Sinologie“ eine ganz andere Bedeutung. Aufgebracht hatte ihn 2005 der australische Sinologe Geremie Barmé, der die intellektuellen Debatten in China seit Jahrzehnten aus der Nähe beobachtet. Ihm geht es darum, die Erforschung des alten China, seiner Sprachen wie seiner Kulturen, mehr als bis jetzt für die Analyse der Gegenwart fruchtbar zu machen; er plädiert also dafür, dass sich die auf die aktuelle Politik bezogenen China-Wissenschaften und die mit der Vergangenheit beschäftigte Sinologie gegenseitig mehr durchdringen.
Anderenfalls hänge die Politik-Beobachtung von Übersetzungen aus der Volksrepublik ab, die schon ihrerseits Interpretationen seien. „China“ aber umfasse sowohl räumlich wie historisch viel mehr als die Deutung, die ihm die gegenwärtige Regierung in Peking gebe. Barmé und seine Kollegen vom „Australian Centre on China in the World“ fordern die westlichen Forscher auf, eine „sinophone“ Identität zu entwickeln, mittels deren sie im Gespräch mit der chinesischen und der globalen Öffentlichkeit eine eigene chinesische Stimme entwickeln und so zu der angemessenen Vielfalt der China-Bilder beitragen können.
Großes Misstrauen gegen Sinologie
Eine solche Haltung steht im direkten Gegensatz zu dem Abgrenzungsdenken, das die Pekinger Sicht auf die China-Forschung bisher bestimmte. Es gibt in China zwar schon seit Jahren Institute wie an der Renmin-Universität, die sich auf hohem wissenschaftlichem Niveau mit der Sinologie im Ausland beschäftigen. Doch die Etablierung eines solchen Metafachs, durch die China wieder die Kontrolle über die ihm entglittene Beschäftigung mit seiner Vergangenheit erlangen will, hatte die Annahme zur Voraussetzung, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der schon begrifflich klar voneinander getrennten „Hanxue“ (汉学), der im Ausland betriebenen Sinologie, und „Guoxue“ (国学), der von Chinesen betriebenen Landeskunde, gebe.
Eine methodische und inhaltliche Rechtfertigung dieser Trennung sind die Kulturpolitiker und Gelehrten schuldig geblieben; die Behauptung einer essentiellen Besonderheit dient oft bloß als Hilfsargument für den politischen Sonderweg des Landes. Auf ebendiesen blinden Fleck zielte Judith Farquhar von der University of Chicago, als sie auf der Pekinger Konferenz den „Neuen Sinologen“ in China vorschlug, von den Methoden der Anthropologie zu lernen: also „vermeintlich natürliche Kategorien“ kritisch in Frage zu stellen und Strukturen in China mit ähnlichen Strukturen zu vergleichen, die man andernorts findet.
Die Frage, die die neue Konfuzius-Strategie aufwirft, lautet also: Werden sich die auf kulturelle Hegemonie und Kontrolle zielenden Absichten durchsetzen? Oder wird die engere Zusammenarbeit von chinesischen und nichtchinesischen China-Forschern in der Praxis eine Eigendynamik entwickeln, die das ideologische Korsett zusehends auflöst? Die Antwort dürfte nicht zuletzt vom Selbstbewusstsein und von der analytischen Kraft der westlichen Sinologen abhängen. Der Kampf um das, was „China“ bedeutet, tritt in eine neue Phase ein.
Text: Mark Siemons
Journalist, Peking
Januar 2013
Journalist, Peking
Januar 2013