Musik

Erfolgreiche chinesische Musiker in Deutschland

Wu Wei , Foto: Elsa Thorp © Wu Wei
Wu Wei (Ausschnitt), Foto: Elsa Thorp © Wu Wei; Chen Xiaoyong © Friedrich Riehl; Xu Fengxia (Ausschnitt) © Xu Fengxia
Wu Wei (Ausschnitt), Foto: Elsa Thorp © Wu Wei; Chen Xiaoyong © Friedrich Riehl; Xu Fengxia (Ausschnitt) © Xu Fengxia

Sie beherrscht die traditionellen Spielweisen der chinesischen Musik in virtuoser Perfektion. Gleichzeitig erneuert sie ihr Instrument auf fesselnde Weise. Xu Fengxia (徐凤霞) spielt die Guzheng, die chinesische Wölbbrett-Zither. Für das 21-saitige Instrument, das in China eine 2000-jährige Geschichte hat, hat Xu Fengxia eine Fülle neuer, alternativer Spieltechniken entwickelt.

„Ich bin unendlich neugierig auf neue Sounds“, sagt die in Paderborn lebende Chinesin. „1994 begann ich aus reiner Experimentierlust, die Guzheng beispielsweise mit dem Violinenbogen zu spielen. Bis ich herausfand: Vor Jahrhunderten wurde die Guzheng auch in China schon mit dem Bogen gestrichen. Später ging diese Spielweise verloren. Ich hatte also unbewusst etwas völlig Natürliches aufgegriffen – mit anderen Mitteln zwar und in einer völlig neuen Spielweise. Aber warum sollte man das nicht machen?“

Mit ihrem klangforschenden Spiel hat sich Xu Fengxia einen festen Platz in den Ensembles der frei improvisierten Musik Europas erobert. Im Dialog mit Musikern aus Jazz, Rock und Neuer Musik und im Austausch mit Schriftstellern hat sie dem traditionellen chinesischen Instrument neue Perspektiven gegeben.

Als sie 1991 nach Deutschland kam, hatte sie bereits Erfahrungen in New Jazz-Ensembles in Shanghai gesammelt. „Richtig frei zu improvisieren habe ich aber erst bei Peter Kowald gelernt. Ich habe viele Jahre in seiner Band Global Village gespielt. Er hat meinen Horizont erweitert und mir musikalische Türen geöffnet – für fremde Musikkulturen, für Klangexperimente, für andere Sichtweisen.“ 

Xu Fengxia © Xu Fengxia
Xu Fengxia © Xu Fengxia
Die Herausforderung, mit Protagonisten der improvisierten Musik zu spielen, erzählt Xu Fengxia, bestehe darin, die große monophone Tradition der chinesischen Musik mit den polyphonen Stilen der westlichen Musik zu verschmelzen. Der Guzheng-Virtuosin ist das erfolgreich gelungen. Mit ihrer packenden Spielweise konnte sie ihre europäischen Improvisationspartner oft genug dazu bewegen, aus erstarrten Mustern auszubrechen. Umgekehrt ist das Feld der frei improvisierten Musik für sie eine ideale Plattform, um aus traditionellen Begrenzungen herauszutreten und neue Ausdruckmöglichkeiten zu finden.

Das wichtigste Markenzeichen von Xu Fengxia: Sie spielt die Guzheng ungewöhnlich rhythmisch und kraftvoll. „Normalerweise phrasieren Guzheng-Spieler die Melodie sehr zart und klangschön. Mich aber fesseln Rhythmen. Ich habe beispielsweise viele brasilianische und afrikanische Rhythmen auf das Spiel der chinesischen Zither übertragen – was vor mir noch niemand gemacht hat. Grooves faszinieren mich.“ Möglich, dass ihr dabei ein Umstand geholfen hat: Xu Fengxia hat in den achtziger Jahren in Chinas ersten Frauenrockband, der Electro Lady Rock Band, Gitarre und Bass gespielt. Zugleich hat sie den Kontakt zu den klassischen Guzheng-Spielweisen nie aufgegeben. „Ich liebe traditionelle chinesische Musik. Selbst wenn ich free improvised-Konzerte gebe, vergeht keines, in dem ich nicht irgendein traditionelles chinesisches Stück spiele. Aber das wirklich Reizvolle ist: ich mische beide Ansätze.“

Chen Xiaoyong © Friedrich Riehl
Chen Xiaoyong © Friedrich Riehl
Auch für den in Hamburg lebenden Komponisten Chen Xiayong (陈晓勇) ist die traditionelle chinesische Musik nicht Staffage, kein folkloristisches Ornament, sondern ein Mittel, Sounds akribisch nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu befragen. Er kam 1985 nach einem abgeschlossenen Musikstudium von Peking nach Deutschland, 4 Jahre studierte er bei György Ligeti an der Musikhochschule Hamburg. 1987 feierte Chen sein Europa-Debut bei den Donaueschinger Musiktagen, wo das Auryn Quartett sein 1. Streichquartett aufführte. Er hat viele internationale Preise gewonnen und mit namhaften Orchestern auf allen Kontinenten gearbeitet.

„Meine Musik hat sich verändert.“, sagt der 51-jährige rückblickend, „Ich bin, wenn man das so sagen kann, nicht mehr so typisch chinesisch, fühle mich – grob gesagt - halb-europäisch, als ein Weltbürger. Nicht im Sinne von etwas Verlorenem, sondern von einer Identität mit Wurzeln.“

Die Eigenschaften der chinesischen Sprache spiegeln sich in Chen Xiaoyongs Musik: winzige Tonhöhen-Dehnungen, feinste Differenzierungen und eine höchst subtile Melodik. Und doch: „Was ich mache, ist nicht typisch chinesische Musik, ich gehe einen Mittelweg zwischen chinesischer und europäischer Musik.“

Besonders positive Erfahrungen hat er in der langjährigen Zusammenarbeit mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gemacht. „Der Kontakt von deutschen Musikern mit chinesischer Musik ist meist nur eine erste Berührung, das Verstehen kommt erst viel, viel später. Umgekehrt geht das mir manchmal auch so, selbst bei meinen eigenen Werken. Ich entdecke nach und nach, was mir noch unbekannt war, es ist auch für mich ein Forschen.“

Chen Xiaoyong, der im Jahr 2000 die Komposition Fusion für Yo Yo Ma’s (马友友) Silk Road Project schrieb, glaubt „dass ein Dialog immer ein Prozess mit offenen Ausgang ist. Ich verstehe andere Kulturen jetzt besser.“

Sein Kompositionsstil schöpft aus der ostasiatischen Musikphilosophie, in der das Kreieren und Differenzieren des Sounds im Mittelpunkt steht. In Chens Ouevre ist der Sound daher nicht bloße Materie, sondern ein energetisches Feld, das es sensuell zu erkunden gilt. „Komponieren heißt für mich, mit dem Sound zu kommunizieren. Ich versuche herauszufinden, welche Entwicklungsmöglichkeiten in einem Klang stecken.“

Das ist eine ästhetische Haltung, mit der auch Wu Wei (吴巍) sehr viel anfangen kann.

Wu, Jahrgang 1970, kam Ende 1995 nach Deutschland, als er ein DAAD-Stipendium für die Musikhochschule Hanns Eisler Berlin erhielt. Seitdem lebt er in der deutschen Hauptstadt und wird als Sheng-Virtuose weltweit gefeiert. „Musik ist Energieaustausch für mich“, sagt er. „Man muss offen sein.“

Wu Wei , Foto: Elsa Thorp © Wu Wei
Wu Wei , Foto: Elsa Thorp © Wu Wei

Wu Wei spielt die Sheng, die chinesische Mundorgel. „Ich möchte dieses Instrument weiter entwickeln. Ich möchte diesem uralten Instrument mit seiner 3000jährigen Geschichte neue Dimensionen öffnen.“

Der erste Impuls zur Veränderung kam freilich nicht in Wus Wahl-Heimat Berlin. „Schon mein Professor Weng Zhengfa (翁镇发) in China hat das Instrument weiter entwickelt. Die Sheng bestand ursprünglich aus 17 Pfeifen. Dann aber hat mein Lehrer das Instrument auf 37 Pfeifen erweitert und ihm damit erstmals chromatische Möglichkeiten gegeben. Allerdings spielte er auf der Sheng nur traditionelle Musik.“

Wu Wei treibt die Entwicklung nun weiter, indem er die Sheng im Kontext der unterschiedlichsten Gattungen und Stile als zeitgenössisches Instrument emanzipiert. Er hat mit vielen renommierten Symphonieorchestern gearbeitet, darunter den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle. Er hat mit Jazz- und Rockmusikern gespielt und mit Tänzern, Schriftstellern, Architekten und Komponisten der Neuen Musik kommuniziert. „So reich und unterschiedlich diese Erfahrungen sind, ich habe gelernt, dass die Sheng zwar in China erfunden wurde, aber in Wirklichkeit ein universales Instrument ist. Denn die Sheng ist eine Türöffnerin für mich. Sie gibt mir die Möglichkeit einen Kontakt zu vielen verschiedenen Künstlern aus allen möglichen Ländern aufzubauen.“

Gleichzeitig versucht Wu, sein Wissen der klassischen chinesischen Musik zu vertiefen. „Mir bedeutet es sehr viel, einen eigenen musikalischen Kopf zu haben. Aber genauso wichtig ist mir, die Farbe, den Duft, das Parfüm der klassischen chinesischen Musik tiefer in mich aufzunehmen. Ich sehe da keinen Widerspruch zu meinem Interesse an Neuer Musik. Im Gegenteil: Nur wer sein Erbe kennt, kann auch wirklich etwas Neues schaffen.“
Text: Günther Huesmann
Musikjournalist und Radio-Redakteur, Berlin
Juli 2011
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