Kunst und Kitsch: Achtung, sehr süß!
Koons, © picture alliance/ Rolf Haid
Der folgende Beitrag erschien erstmals in der ZEIT vom 28.10.2012.
Es ist nicht allzu lange her, da galt der Kitsch als „das Böse im Wertsystem der Kunst“. Und der Kitschkünstler war „ein ethisch Verworfener, ein Verbrecher, ein Schwein“. So sah es der Schriftsteller Hermann Broch vor gerade mal 80 Jahren, und so sahen es auch viele andere. „Kitsch ist Erfahrung aus zweiter Hand, vorgetäuschte Empfindung“, schrieb der Kunstkritiker Clement Greenberg. Kitsch ist unwahr, Kitsch verblödet, Kitsch bestätigt den Menschen nur, er bietet ihm nichts, was er nicht schon kennt – davon war man überzeugt, über Jahrzehnte.
Heute aber scheint sich niemand mehr zu empören, und das Entsetzen ist verflogen. Heute darf die Kunst ruhig dumm und süß und sentimental sein, keiner mag dem Kitsch mehr böse sein. Plötzlich wird die lange geächtete Salonmalerei des 19. Jahrhunderts wieder aus den Depots geholt, die Museen feiern den Seelenschwulst von Fernand Khnopff, Paul Delaroche oder Lawrence Alma-Tadema, der lange als der „schlechteste Maler des 19. Jahrhunderts“ galt. Auch Bernard Buffet, ein Meister des zahnarztpraxentauglichen Existenzialismus, wird wieder öffentlich ausgestellt. Und so wundert es kaum, dass selbst ein so großartiges Museum wie die Bremer Kunsthalle nicht länger vor dem Kitsch zurückschreckt und nun Friedensreich Hundertwasser und seinen frühen Kringelbildern die Türen öffnet.
Was ist da passiert?
Wie konnte es zu dieser Umwertung aller Werte kommen? Warum gilt das, was so lange das Jenseits der Kunst markierte, das nicht Authentische, das nicht Neue, das Gestanzte und Schablonenhafte, das Oberflächliche und Schwülstige, mittlerweile vielen als diskussionswürdig? Selbst ein angesehener Philosoph wie Konrad Paul Liessmann lässt keinen Zweifel mehr daran, dass die einstige Abscheu in allgemeines Wohlwollen umgeschlagen ist. „Nicht länger gilt mehr, dass Kitsch keine avancierte Kunst sein kann. Im Gegenteil: Spätestens seit Jeff Koons wissen wir: der Kitsch selbst ist nun die Avantgarde.“
Gemeint ist damit, dass Künstler wie Jeff Koons oder auch der popbunte Comicmaler Takashi Murakami keinen naiven Gartenzwerg-Kitsch machen, auch wenn ihre Werke gelegentlich so aussehen. Nein, sie unterhalten ein hoch reflektiertes Verhältnis zu ihren massenkompatiblen Gegenständen. Und tun, was die Avantgarde immer schon tat: Sie erweitern den allgemeinen Kunstbegriff, sie hinterfragen die üblichen Geschmacksvorstellungen und im Zweifel auch das Bewusstsein. Anders gesagt: Ihr Kitsch ist eine Form von Kritik. So jedenfalls wird es von zahlreichen Galeristen, Museumskuratoren und auch Theoretikern gesehen.
Hundertwasser, © picture alliance/ dpa
Selbst für Hundertwasser reklamiert die Bremer Kunsthalle, er sei doch in Wahrheit ganz anders gewesen. Dass er vor allem ein pseudonaiver Meister der Zwiebeltürmchen und Knollensäulen war? Ein Selbstvermarktungsgenie mit eigenem Erlebniseinkaufszentrum? Dass sich hinter dem Kindlichkeitsgetue ein Reaktionär verbarg, der freien Herzens zu Protokoll gab: „Die zeitgenössische Kunst ist entartet“? Über all das verliert der neue Direktor in Bremen, Christoph Grunenberg, kein Wort. Er preist Hundertwasser als Pionier und kritischen Geist.
Nun wollen die Kitschkünstler im Zweifel von solchen Zuschreibungen nicht viel wissen. Jemand wie Jeff Koons zum Beispiel führt das Wort Kritik nicht unbedingt in seinem aktiven Wortschatz. Und so bieten auch nur wenige Werke der Kitsch-Art einen Reflexionsgewinn oder irgendeine Art der Erkenntnisvermehrung. Der ästhetische Nährwert ist zumeist bescheiden. Daher bekommen die meisten Kitschwerke das begehrte Etikett namens Kunst nicht deshalb verliehen, weil sie besonders innovativ, besonders unterhaltsam, besonders raffiniert gedacht und gemacht wären. Nein, in der Regel wird die Kunsthaftigkeit dieser Objekte nicht von ihnen selbst, nicht von ihrer äußerlichen Erscheinung verbürgt, sondern verdankt sich allein ihrer Inszenierung. Und diese Inszenierung ist oft eine des Marktes.
Ein Fall von Scheinliberalität
Wer von den großen Sammlern gemocht und gekauft wird, darf auch auf ein Plätzchen im Museum und auf Anerkennung der Kunstgemeinde hoffen. Wer diese Sammler nicht findet, der bleibt außen vor. Es ist letztlich ein System, in dem auf vulgäre Weise das Geld über Kunst oder Nichtkunst entscheidet. Denn der Unterschied ist nicht im Objekt begründet, sondern in der Marktmacht seines Käufers.
Deshalb wird Jeff Koons in Museen gezeigt und ein James Rizzi oder Thomas Kinkade nicht. Deshalb wird auch der Versuch der Kunsthalle in Bremen, Hundertwasser zu rehabilitieren, nicht aufgehen, denn es interessieren sich kaum potente Sammler für dessen Œuvre.
Wer also meint, hinter der Begeisterung für den Kitsch verberge sich eine Annäherung von High und Low, eine überfällige Öffnung für populäre Phänomene, für andere Kunstempfindungen, als sie von der alten Avantgarde vorgesehen waren, der sieht sich getäuscht. In Wahrheit handelt es sich um einen Fall von Scheinliberalität. Das Kunstsystem bleibt in weiten Teilen elitär und erratisch. Und ist der Kitsch-Art nicht zuletzt deshalb dankbar, weil sie so wunderbar entlastend wirkt.
Sie verkörpert die herzige, naive, süßliche und nostalgische Seite der Kunstwelt, mit der Folge, dass alle anderen Werke, die nicht so vordergründig schimmern wie die Koons-Herzen oder so extraplüschig ausschauen wie die Bilder von Pierre et Gilles, sich vom Kitschverdacht freigesprochen fühlen dürfen. Gerade in der Kunstszene wird ja nicht gerne geurteilt und bewertet, die Kritik ist nicht sonderlich gut angesehen, jede Form der Normativität gilt als verdächtig. Und da ist es praktisch, wenn man sich allein durch den Akt der Abgrenzung von Koons & Co schon auf der sicheren Seite wähnen darf.
Dabei ist der Kitsch viel verbreiteter, als allgemein angenommen, nur dass er eben nicht immer leicht zu identifizieren ist. Es ist ein Kitsch, der die Persönlichkeit der Kunst spaltet: Sie ist dann nur noch das schöne Gefühl oder nur noch der kluge Gedanke. Wenn alles einfach und unmittelbar sein soll, unberührter Genuss, dann wird es rasch schwülstig. Wenn sich alle Fragen erübrigen, wenn die Kunst aufgeht in Wirkung und Bedeutungsprahlerei, dann kann es mit der Qualität nicht weit her sein. Am Ende ist es eine Frage der Dosierung: Wann kippt die Kunst ins Mechanische, wann bedient sie nur die Gefühle und spart sich jene Ambivalenz, die gute Kunst ausmacht?
Kitsch kann nur sich selbst gefallen
Viele Werke der Gegenwart begnügen sich damit, eindrücklich sein zu wollen, jede Nachfrage perlt an ihnen ab. Das gilt für die opulenten Schwarz-Weiß-Dramen der Shirin Neshat, die allein das Exotische beschwören. Es gilt für den doktrinären Politkitsch vieler Biennale-Künstler. Es gilt aber auch für die Mutter-Kind-Idyllen eines Gerhard Richter und erst recht für viele seiner monumentalen Farbschlieren. Eines dieser Bilder hat gerade einen Auktionsrekord erzielt, 26,4 Millionen Euro, und scheint damit über jeden Kitschverdacht erhaben. Doch weil diese wohlige Art der Abstraktion auf nichts mehr zielt, weil sie niemanden mehr erregt, weil ein solches Bild noch nicht mal sich selbst noch etwas beweisen muss, erstarrt diese Kunst in der eigenen Opulenz. Es ist die Salonmalerei des 21. Jahrhunderts: gewaltige Gesten, ansonsten hohl.
Damit aber die Kunst nicht nur Gefühlssache ist, sondern auch begriffen und durchdrungen werden kann, muss ein Kunstwerk beides können: Affekte ermöglichen und sich vor beliebiger Affektproduktion hüten. Das Impulsive, rein Assoziative, muss einholbar bleiben von der Reflexion. Nur kitschige Kunst ist selbstgenügsam, in ihr wohnt kein Zweifel. Und damit erweist sie sich auf perfide Art als selbstzerstörerisch.
Murakami, © Stefanie Thiedig
Vor allem jene Kunst, die dezidiert im Kitschgewand daherkommt, Werke von Koons oder Murakami, funktionieren ja nur, solange sie als Pendant begriffen werden können, solange es also so etwas wie „wahre“ Kunst weiterhin gibt. Sie nähren sich von deren Glaubwürdigkeit und Ansehen, obwohl sie diese Glaubwürdigkeit und das Ansehen negieren. Damit macht es sich die Kitsch-Art leicht. Sie stellt nicht mehr die Frage, wozu es Kunst eigentlich gibt, wofür also Museen, Kunsthochschulen, Künstlerstipendien, Kunstmessen, ja, Kunstunterricht überhaupt gut sein könnten. Sie weist alle Ansprüche zurück – und überlässt es anderen Kunstwerken, sie, die Kitsch-Art, mit der nötigen Bedeutungsaura zu versorgen. Ohne diese Hilfe wäre sie keine Kunst, sie wäre nur Kitsch. Sie lebt von dem, was sie verachtet.
Dass ausgerechnet diese Art von Kunst als Avantgarde gelten soll? Dass sie geschätzt, geliebt, gesammelt wird? Heute ist Kitsch kein Kampfbegriff mehr, mit dem sich ein Künstler wie noch im 19. Jahrhundert abgrenzen müsste, um die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Heute versöhnt man sich mit dem Kitsch, um die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Dabei gibt es dafür keinen Grund. Der Kitsch bleibt epigonal, ganz egal, wie sehr er glänzt und wie viele Millionen Dollar dafür gezahlt werden. Die Kunst kann kämpfen, suchen, hinterfragen, scheitern. Was aber kann der Kitsch? Er kann sich nur selbst gefallen.
Text: Hanno Rauterberg
Journalist DIE ZEIT, Hamburg
Januar 2013
Journalist DIE ZEIT, Hamburg
Januar 2013